Universität trifft Schule
Kooperation der Fachschaft Deutsch mit dem Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur. Schulung literarischer Kompetenzen in einer Stunde zum Hip-Hop-Video OMG! von Marteria.
„Will da oben rein, wie soll das gehen? / Muss ich sein wie Mohammed, Buddha oder Kanye?“ Fragen wie diese stellen sich nicht oft im Deutschunterricht. Aus Sicht der Schüler wie aus Sicht der Lehrer wäre dies aber wünschenswert.
Im Rahmen der seit 2012 bestehenden Kooperation des Deutschseminars von OStR Andreas Vogel mit dem Deutschdidaktik-Lehrstuhl von Prof. Dr. Anita Schilcher an der Universität Regensburg, die zum Ziel hat, die fachdidaktischen Erkenntnisse mit ihrer praktischen Umsetzung in der Schule abzugleichen, fand am 11. Dezember 2014 eine Unterrichtsstunde statt, in der die Schüler ein Rapvideo analysierten, um grundlegende literarische Kompetenzen einzuüben, die auch für das Erschließen sehr komplexer literarischer Texte im Abitur notwendig sind.
In der Deutschstunde zum Video OMG! des Rappers Marteria vollzogen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10c die semantische Ordnung, die in den Bildern aufgebaut wird, nach. Unter der Leitung von StRef Philipp Bergmann erschloss die Klasse die Gegensätzlichkeit zweier Wertesysteme, die im Video dargestellt werden, und bewertete, ob diese Systeme eine Hilfe bei der Sinnsuche im Leben darstellen können.
Auf der einen Seite präsentiert der Clip das Christentum als negativ konnotiertes Wertesystem, das von Selbstgeißelung, Wunderglaube und Zurückgezogenheit bestimmt ist. Dem gegenüber steht das System Marteria, das durch eine Zwille symbolisiert wird, und durch Spaßbetonung, Feiern und Rapmusik eine befreiende Wirkung auf die Personen ausübt, die im Video zunächst unter dem Einfluss des Christentums stehen.
Diese Menschen und die Anhänger des Marteriasystems treffen sich am Ende, um eine Art Hip-Hop-Gottesdienst zu feiern. Diese musikbasierte Werteordnung bietet den Menschen die Möglichkeit, eine Art Himmel im Diesseits zu erschaffen, statt ihn im Jenseits zu suchen. In Marterias Musikvideo wird das eine System deutlich negativ gezeichnet, um im Vergleich das andere System noch positiver erscheinen zu lassen.
Dabei ist klar, dass keines der Systeme, wie sie im Video gezeigt werden, alleine dem Menschen Halt geben kann. Dennoch bietet das System Marteria den Vorteil, dass die Menschen in ihm auf eine befreiende Weise zusammengeführt werden – eine Funktion, die von den traditionellen Religionen immer weniger erfüllt wird.
Im Anschluss an die Unterrichtsstunde diskutierten die Referendare und Studenten mit den beiden Seminarleitern die Lernwirksamkeit der Stunde. Dabei wird deutlich, dass die Beschäftigung mit populärkulturellen Texten generell auf einem anspruchsvollen Niveau möglich ist und diese genau wie etwa ein Drama Schillers oder ein Gedicht Goethes bestimmten Regeln der Literatur folgen. Die Lehrer erhoffen sich, wenn sie beispielsweise Rapvideos im Unterricht thematisieren, dass die Schüler erstens motivierter sind, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen, und zweitens grundlegende Mechanismen, die in jedem denkbaren literarischen Text eingesetzt werden, leichter nachvollziehen, als wenn man diese gleich an einem Text der Hochkultur einübt.
Somit erhalten die Schülerinnen und Schüler in einer solchen Art von kompetenzorientiertem Unterricht eine Auswahl grundlegender Werkzeuge an die Hand, die ihnen bei jeder weiteren Texterschließung bis hin zum Deutschabitur helfen. In der Diskussion wurde mehrmals die hohe Qualität der Schülerbeiträge gewürdigt.
Dies ist erklärbar durch das Prinzip des scaffolding (dt. ‚Gerüst‘), das bei der ersten Begegnung mit neuem Lernstoff den Schülern gerüstartig ein bestimmtes Vorgehen zuerst strikt vorgibt, wobei nach und nach Gerüstteile, also Vorgaben, wieder zurückgenommen werden, um das selbstständige Arbeiten der Schüler zu fördern. Durch diese Art von Unterricht wird auch der weitverbreitete Irrglaube widerlegt, dass man das Fach Deutsch generell nicht erlernen könne.
Abschließend erteilten die Studienreferendare, ausgehend von ihrer zweijährigen Praxiserfahrung im Referendariat, den Studenten Ratschläge für ihre Zukunft als Lehrer.