Q12 im modernen Theater: „Zorn“ und Hass. Mitgefühl und Toleranz. Schein und Sein.
Am 8. März 2016 begab sich die gesamte Jahrgangsstufe der Q12 des Ludwigsgymnasiums nach Regensburg, zu einem gemeinsamen abendlichen Theaterbesuch ins Theater am Bismarckplatz. Aufgeführt wurde das zeitgenössische Stück Zorn (Fury) der australischen Bühnenautorin Joanna Murray-Smith.
„Wir glauben, dass es wichtig ist, Kindern zu vertrauen. Wir dachten immer, wenn man sie wie intelligente Wesen behandelt, dann verhalten sie sich auch intelligent.“ (Alice)
Zorn handelt von den vor Glück strotzenden Ehepartnern Alice und Patrick Harper, die Mitte 50 und erfolgreiche Akademiker sind. Sohn Joe jedoch enttäuscht, hat er doch des Nachts heimlich eine Moschee mit Graffiti besprüht. Bei einer Begegnung mit den Eltern von Joes Komplizen Trevor Evans kommen die verschiedenen Haltungen der Eltern zur Tat ihrer Söhne zum Vorschein. Die Harpers sind der Meinung, Joe könne niemals der Initiator sein, da sie ihn im Geist der Toleranz und des Mitgefühls erzogen hätten. Die Evans hingegen weisen jede Schuld von sich, unter anderem unter Anführung rechtsgerichteter Argumente.
Da die Neurowissenschaftlerin Alice Harper einen wichtigen Preis erwartet, interviewt zeitgleich eine junge Journalistin namens Rebecca die Familie. In Wahrheit jedoch versucht diese herauszufinden, wer für den Tod ihres Vaters, eines Polizisten, der noch vor ihrer Geburt bei einem Anschlag der linksradikalen Gruppe The Fury ums Leben gekommen war, verantwortlich ist. Und siehe da – völlig überraschend stellt sich heraus, dass ausgerechnet die moralisierende Alice Harper vor vielen Jahren einen Koffer mit einer Bombe wissentlich an den Tatort gebracht hatte. Mit der Enthüllung dieser Wahrheit erfährt das Stück eine dramatische Wendung, die Illusion des heilen Familienglücks zerbricht endgültig. Das Theaterstück endet unter dem Eindruck des Kontrasts zwischen der moralischen Erwartungen der Eltern an ihren Sohn Joe und der eigenen linksradikalen Vergangenheit der Mutter, die am Schluss nicht im Regen, sondern symbolisch im eisigen Schnee stehen bleibt.
Bereits mithilfe der Kostüme und der Gestaltung der Bühne wird das typische Klischee einer Familie des Bildungsbürgertums unterstrichen: gediegen grau-schwarze Kleidung des Ehepaares Harper, triste Betonwände und minimalistische Einrichtung. Dies alles ist aber nur Fassade, um den Schein nach Außen zu wahren, denn die äußere Erscheinung des Rebellen Joe symbolisiert den Gegensatz zu den elterlichen Werten: zu großer Pullover, zerrissene Hose und zerzauste Haare.
Aber auch sonst bietet die Inszenierung in Regensburg einige Auffälligkeiten. So ist zum Beispiel das Bühnenbild einfach, aber effektiv gestaltet. Eine Drehbühne befördert die Schauspieler wie auf einem Fließband in den Vorder- und Hintergrund. Unterteilt wird die Bühne durch die bereits erwähnten Betonwände, die auf und ab bewegt werden können. Und um zusätzliche Nähe zu den Zuschauern zu schaffen, können die Schauspieler auf einer Art Plateau direkt vor den ersten Sitzreihen spielen.
Erwähnenswert ist zudem ein Rechteck mit einem Stück Rasen vor dem Wohnzimmer der Harpers, das mehrfach symbolisch gedeutet werden kann. Zum Einen wird gezeigt, dass über die Vergangenheit der Mutter bereits Gras gewachsen ist. Wird der Garten dann in die Höhe gezogen, hängen die Wurzeln der Blumen gut sichtbar in der Luft – fehlende Verwurzelung als Zeichen familiärer Instabilität.
Zudem kommt der Musik in der Inszenierung eine besondere Bedeutung zu. So wird der Auftritt einer neuen Person stets durch das Auflegen einer neuen Schallplatte eingeleitet, die jeweilige Musik verdeutlicht den Charakter der Figur. Mit dem Moment der Enthüllung von Alices Vergangenheit, verstummt die Musik abrupt, der Plattenspieler läuft leer, allein ein pochender Herzschlag ertönt. Die Fassade ist endgültig zerbrochen, die Lüge als Basis des Ehepaares entlarvt. Fazit: Eltern legen oft falsche, selbstgerechte Maßstäbe an ihre Kindern, denen sie selbst in ihrer Jugend nicht gerecht wurden.
Das Drama Zorn regte mit seiner gut verständlichen, gerade in Bezug auf die Flüchtlingsproblematik sehr aktuellen Handlung die Schüler der Oberstufe zum Nachdenken über Religion, Werte, Rassismus und Radikalisierung an und warf interessante Fragen auf, die unter reger Beteilung in den folgenden Deutschstunden diskutiert wurden.